Schulalltag: Brandbrief einer Mutter
Unterrichtsausfall, Kurzstunden, Lehrerkonferenzen in der Schulzeit, zu wenig Sport und Musik – das sind alltägliche Probleme an Bayerns Schulen. Eine Mutter macht ihrem Ärger Luft.
Was die eltern wirklich nervt: Unterrichtsausfall, Kurzstunden, Lehrerkonferenzen in der Schulzeit, zu wenig Sport und Musik – das sind alltägliche Probleme an Bayerns Schulen. Eine Mutter macht ihrem Ärger Luft.
Sie ist Mutter mehrerer Kinder und wohnt in einem Münchner Vorort – mehr will die Autorin des nachfolgenden Schreibens nicht veröffentlicht wissen. Ihr Name ist unserer Redaktion aber natürlich bekannt. Man muss – wie unsere Redaktion und sicher viele Lehrer – ihre Meinung nicht in allen Punkten teilen. Aber wer den Brief liest, bekommt den Eindruck, dass Politiker manchmal sehr abstrakt über Bildungsprobleme reden, ohne den Schulalltag zu kennen.
Hier der Denkanstoß:
„Mein Brief richtet sich mitnichten gegen unsere engagierten Lehrer, die wir Gottlob an Schulen finden. Ganz im Gegenteil: Diese Lehrer beweisen uns allen, dass man sich sehr wohl auf das Engagement der Menschen, nicht aber auf das Engagement der Behörden verlassen kann. Weder G8, noch Finanznöte sind m. E. die Ursachen unserer Schulprobleme, vielmehr ein gewisses laissez faire. Wird nicht adäquat beschult, müssen notgedrungen Eltern den Schulstoff vermitteln. Je lockerer es die Schule nimmt, desto mehr Stress baut sich zu Hause auf. Können aber Eltern nicht beschulen, haben Kinder schlechtere Chancen. Deutschland ist in der Chancenungleichheit europaweit führend. Selbst die USA bietet eine größere soziale Durchlässigkeit. Sollen aber Eltern neben Job und Alltag weiterhin den Schulstoff vermitteln, stünden ihnen für Aufwand und Zeit ordentliche Steuerfreibeträge zu. Ab drei Kinder wäre man wohl steuerfrei und könnte sich die Doppelerwerbstätigkeit sparen.
Was wäre also wünschenswert?
-Ein verlässlicher, engagierter Unterricht: Man spricht viel von der Überforderung des G8-Zuges, nicht aber davon, dass unsere Kinder einen kompletten Monat vor Beginn der Sommerferien (bzw. vor und nach den Halbjahreszeugnissen) kaum Unterricht haben. Sie sehen Filme, werden bespaßt und bespielt, oft um 11 Uhr nach Hause geschickt. Von 5,6 Monaten Schulzeit fallen auf diese Weise fast zwei Monate unter dem Tisch. Der Jahresstoff muss also in rund vier Monaten durchgeritten werden und auch noch in diesen vier Monaten fallen genügend Stunden aus. Genau diese vier Monate „Crash- und Rushhour-Beschulung“ ist das eigentliche Schulproblem. Ein gleichmäßiger Unterricht während der 169 Schultage wäre sehr viel kindgerechter. Lehrer haben 169 Schultage im Jahr zu bewältigen, Eltern 250 Arbeitstage. 81 Tage Differenz sind schon eine Herausforderung, der frühe Schulschluss kommt noch schlechter. Als mein Kind ins Gymnasium wechselte, fielen reihenweise die Deutsch-, Englisch- und Mathelehrer wegen Schnupfen und Klassenfahrten aus. Von der Krankschreibung ging es zügig in die Herbstferien, nachfolgend in die gepfefferten Prüfungen. Nach Seitenangaben unterrichtete man zu Hause. Dabei sollten unkündbare Beamte verlässlichen Unterricht gewährleisten und Klassenfahrten vorausschauend planbar machen. Mobile Reserven können keinen adäquaten Unterricht leisten, da sie ständig die angefangenen Konzepte anderer übernehmen müssen. Es fehlt an konstanter Anleitung. Manchmal falten Kinder die Schülerzeitung und sehen sich Filme an. Auch Lehrerwandertage und -Konferenzen sollten ebenso nicht während der regulären Unterrichtszeit stattfinden. Üblicherweise werden an Tagen mit Lehrerkonferenzen unproduktive Kurzstunden abgehalten – eine Unterrichtsstunde ist dann 30 statt 45 Minuten lang. Konferenzen können aber an freien Nachmittagen oder nach 16.00 Uhr anberaumt werden.
-Fördercamps an Schulen: Eltern zahlen durchschnittlich 150 Euro pro Monat und Kind für Nachhilfe, zuzüglich Förderungen kommen sie auf über 200 Euro. So werden Kinder und Bildung zum Luxus. Der Steuerzahler finanziert unseren Lehrkräften 63 Ferientage. Nach einer gewissen Routine reichen vielleicht schon die Freistunden und freie Nachmittage für Vor- und Nachbereitung. Nicht verbeamtete Lehrer werden oft zu Beginn der Sommerferien gekündigt und melden sich dann arbeitslos. Auch das ist abenteuerlich. Hätten Lehrer ebenso nur 30 Tage Urlaubsanspruch, blieben pro Lehrkraft 33 ungenutzte Arbeitstage. Ohne einen Cent Mehrkosten könnten Schulen in den Ferien Lerncamps anbieten: Latein-, Englisch-, Mathe-, Französisch- und Sportcamps, ja, welch Traum, selbst Musikcamps wären möglich.
-Echten Sportunterricht: Eine Stunde Sport am Tag verbessert nachweislich die Schulnoten. Gut, das bietet keine Schule, aber oft genug steht die Lehrkraft daneben, wenn unsere Kinder Stunde um Stunde, vier Grundschuljahre lang fangen spielen. Hierfür bedarf es keine pensionsberechtigte Lehrkraft. Dehnübungen werden kaum gemacht, Ballspiele, Radschlagen, Springen und Werfen nicht mehr erlernt, vom Boden- und Geräteturnen ganz zu schweigen. Ohne sportliche Bildung werden Kinder steif, leiden an Sehnenverkürzungen und sind die geplagten Rückenpatienten von morgen. Ironischerweise werden noch Bundesjugendspiele abgehalten und die Kinder in allen Disziplinen benotet.
-Fremdsprachen im Sprachfenster: Dass in jungen Jahren Fremdsprachen leicht erlernbar sind, hat man überall verstanden, nur bei uns beginnt Englisch erst in der 3. Klasse, wenn das Sprachfenster sich wieder schließt. Private Grundschulen begrüßen ihre Kinder auf Englisch, haben Native Speaker. Sie singen und unterrichten in anderen Sprachen, fördern im Alltäglichen zwanglos die Mehrsprachigkeit. Während solch traumhafte Schulen für uns Steuerzahler unerreichbar bleiben, bezuschusst man einigen Beamten (z.B. Brüsseler Beamten, Beamte des europäischen Patentamtes) solch privilegierte Privatschulen mit Steuergeldern. Chancen-un-gleichheit und Privilegien kennzeichnen aber die Zweiklassengesellschaft.
-Engagierter Musikunterricht: Ein Trauerspiel. Fehlstunden sind häufig, Engagement eher selten. Musik vernetzt aber Synapsen und Gehirnregionen, fördert geistige Aktivität, entstresst, macht gesund und glücklich. Sie wirkt integrativ und bringt alle zusammen. Das beweisen unzählige Studien. Diese positiven Effekte der musischen Bildung verpassen unsere Schulen in Gänze. Musische Bildung oder Schulorchester sollten im reichsten Land Europas nicht nur möglich sein, sondern zum Aushängeschild der Schulen werden.
Die vielen Krankentage, durch „nicht-mehr-unterrichten“ verlängerte Ferien, das abfallende Engagement, die fehlende sportliche und musischen Kreativität an unseren Schulen und der Zugzwang und Stress für erschöpfte Eltern und Kinder offenbaren, dass wir um eine Modernisierung der Schulen nicht herum kommen. Wie gesagt: Auf das Engagement der Menschen kann man sich verlassen, nicht auf Behörden. Darum sollten wir aus Behörden Schulen machen. Ich persönlich meine, dass Lehrer nicht Beamte sein sollten. Vielmehr sollten unsere Kinder endlich den Schutz eines schülerfreundlichen Wettbewerbes genießen dürfen. Der gute Lehrer hat selbstverständlich seine sichere Stellung, der Unengagierte wohl eher nicht. Vieles richtet sich von selbst, wenn der Job so sicher ist, wie er gut gemacht wird.“
Quelle http://www.ovb-online.de/bayern/schulalltag-brandbrief-einer-mutter-3508632.html