„Du hast ja schon viereckige Augen!“ ist wohl der meist gehörte, meist verwendete und nervigste Spruch, den Eltern auf Lager haben, wenn sie feststellen, dass die Jungend schon viel zu lange vor dem Computerbildschirm sitzt. Für den Nachwuchs bedeutet dieser Ausruf soviel wie „mach das Teil aus, sonst ziehe ich den Stecker!“ und stellt in seinen Augen eine erniedrigende Einschränkung seiner Freiheit dar. Was die meisten Kinder und Jugendlichen dabei nicht verstehen: den Eltern geht es normalerweise keineswegs darum, dem Nachwuchs den Spaß zu verderben und Willkür auszuleben. Vielmehr beenden Eltern die abendlichen „Zockrunden“ der Kinder, um deren Gesundheit (vor der virtuellen Welt) zu retten.
Der Computer – eine (fast) perfekte Welt
Wie alle Arten des Suchtverhaltens beginnt auch die Computersucht mit dem Konsum. Kinder konsumieren Computerspiele. Egal ob Aufbauspiel, Shooter oder Rennspiel, man wird immer in die Rolle einer in der Computerwelt lebenden Figur versetzt, aus deren Perspektive man das Spielgeschehen verfolgt und beeinflusst. Man klopft als Bauherr Metropolen aus unfruchtbarem Boden, man kämpft als Soldat mit wenigen Kameraden in einer Stadt gegen überlegene Feine oder besiegt als Rennfahrer durch Fahrgeschick Gegner, die wesentlich bessere Autos haben.
In dem Augenblick, in dem wir die Rolle eines „In-game-characters“ übernehmen, tauchen wir in die virtuelle Welt des Computers ein und nehmen genauso emotional am Geschehen Teil wie in der echten Welt. Wir erleben Erfolge und freuen uns, wir steigen in Ranglisten auf und kommen unter die „Top 50“, unter die „Top 30“, unter die „Top 10“ und irgendwann sind wir die „Number One“. Die unmittelbaren, sofort eintretenden Erfolge, die uns die virtuelle Wirklichkeit vorgaukelt, machen gierig nach mehr und mehr. Seien wir ehrlich: jeder würde gerne ein „Streetracer“ New Yorks sein, wenn es als Belohnung für den Rennsieg einen Lamborgini Reventon gäbe, durch den in den folgenden Runden die Gegner noch leichter zu besiegen wären.
Durch die Erfolge werden Endorphine ausgeschüttet, das sind Glückshormone, und wegen des Glücksgefühls macht Computerspielen Spaß. Das Gehirn versucht immer dafür zusorgen, dass Endorphine ausgeschüttet werden und es merkt natürlich, dass Endorphine ausgeschüttet werden, wenn man in der virtuellen Welt große Erfolge erringt. Hier beginnt die Sucht – je mehr du Computer spielst, desto mehr wird das Gehirn von dir verlangen, Computer zu spielen.
Nicht perfekt ist die virtuelle Welt natürlich dann, wenn man bei einem Gegner nicht mehr weiterkommt, eine Aufgabe nicht erfüllen kann oder das Spiel einfach durch unlogische Verbindungen unspielbar ist. Die erhofften Glückshormone bleiben aus, und man wird das Spiel deswegen sehr wahrscheinlich auch nicht mehr spielen.
„Reset, Restart“
Das Praktische an der virtuellen Welt ist, dass man jederzeit neu starten kann. Angenommen, wir haben als Siedler im 16. Jahrhundert über mehrere Spieltage hinweg in der „Neuen Welt“ eine Metropole aufgebaut und jedes Mal, wenn wir irgendwann aufhören mussten, den Spielstand unter einem neuen Namen gesichert. Wenn wir nun durch diplomatisches Ungeschick von Ureinwohnern angegriffen werden und die mit Mühe und Arbeit errichtete Metropole zerstört wird, werden wir wohl kaum wieder alles von vorne aufbauen. Nein, denn es gibt ja noch den Speicherstand. Man wird sich also in die Ausgangssituation des letzten Speicherstandes zurückversetzen und alles tun, damit man den gleichen Fehler nicht noch einmal macht. Der Mensch lernt schnell und gewöhnt sich schnell einfacheTechniken an, durch die lästige Probleme leicht beseitigt werden können. In unserem Fall wird der Untergang der Metropole durch einen Klick auf den „Laden“-Button verhindert, das Problem ist gelöst. Unser Hirn denkt sich: „Suppi, das merk ich mir, falls das noch mal passiert.“
Blöd – in diesem Fall kann man das nicht anders nennen – allerdings ist, dass es im sogenannten RL, dem „Real-Life“, – außerhalb der Bits und Bytes – keine schön animierte Oberfläche mit einem „Laden“-Button gibt. Wenn man im echten Leben einen Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen macht, gibt es keinen vorher gespeicherten Lebensstand, den man dann auf Knopfdruck abrufen kann. Es gibt nur eine Richtung, und die zeigt in die Zukunft.Es kann unangenehm sein, sich dem realen Leben stellen zu müssen. Um dem zu entgehen, flüchten sich viele Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern keine „Zocksperre“ (=Computerverbot/ Begrenzung der Computerzeit) bekommen, in die perfekte virtuelle Welt , wo sie ständig alles im Griff haben und sich alles per Knopfdruck ungeschehen machen lässt. Gründe für die Flucht aus der Realität können Ärger in der Schule, schlechte Noten, Mobbing und viele weitere Faktoren sein, die das Bedürfnis nach Erfolg und Glück extrem vergrößern. In Extremfällen der Sucht lassen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene ihre Pflichten und Aufgaben völlig links liegen, um sich von dem Computer in die virtuelle Welt entführen zu lassen.
Computersucht – soziales Aus?
Im Anfangsstadium ist die Computersucht beinahe nicht zu bemerken, aber mit der Zeit treten typische Verhaltensweisen auf. Computersüchtige zeigen typische Suchtsymptome:
– Isolation von Freunden und Verwandten
– Verheimlichen bzw. Abstreiten der Sucht
– Verharmlosen des eigenen Verhaltens
– Entzugserscheinungen bei defektem Computer, z.B. schlechte Laune, Nervosität, Reizbarkeit, Schlafstörungen
Wie jede Sucht ist auch Computersucht heilbar. Wenn man Menschen, die von der virtuellen Welt abhängig sind, auf ihre soziale Isolation anspricht, wird man in 90% der Fälle hören, dass sie doch über soziale Netzwerke Kontakt zu ihren Freunden halten. Das stimmt insoweit, als man sich mit anderen per Chat unterhalten kann. In einem sozialen Gefüge geht es natürlich nicht nur um das Chatten (=Reden), sondern auch um Gestik, Mimik, menschliche Wärme, Fühlen und Anfassen. All dies fällt durch reines Chatten weg und beeinträchtigt die Qualität des Lebens.
Ein gutes Gespräch zum Beispiel benötigt alle drei Komponenten – Sprache, Gestik und Mimik- , dann – würde ich behaupten – ist es genauso zufriedenstellend wie ein Computerspiel. Der Abhängige muss aktiv in die Gesellschaft einbezogen und in Gespräche verwickelt werden – beispielsweise durch Familie und Freunde. So kommen die Gedanken aus der virtuellen Welt wieder in die Realität, in der es etwas gibt, was Spielproduzenten nicht imitieren können. Menschen, die sich mit deinen Problemen auseinandersetzten und dir helfen wollen. Wer keine Freunde hat und sich deshalb in die virtuelle Welt zurückzieht, kann sich Freizeitbeschäftigungen suchen. Sportvereine zum Beispiel eignen sich hervorragend, um vom Rechner weg zu kommen und neue Kontakte zu knüpfen.
Ich persönlich hatte das Glück (früher hätte ich Pech gesagt), dass mich meine Eltern in Sachen Computerspielen sehr genau im Auge behalten haben und zu lange Computerrunden strikt unterbunden haben. Ich kenne die Verlockungen der virtuellen Welt, die uns der PC in der heutigen Welt bietet, und gerade deswegen kann ich euch nur eins raten: wenn ihr mal wieder vor eurer Kiste hockt und alleine irgendwelche Computerspiele spielt, gebt euch einen Ruck, geht raus, unternehmt was mit Freunden oder macht etwas mit der Familie. Die echte Welt hat viel mehr zu bieten als unser Computer. Und ganz nebenbei ist die Graphik auch besser.
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